Stefan Blankertz: Das libertäre Manifest Eine Diffamierung - 20 Jahre Manifest des gekränkten Mannes

Sachliteratur

Vorweg erwähnt werden muss, dass das Gemecker, Gepöbel und klugscheissen in diesem Beitrag für sich genommen einige patriarchale Aspekte aufweist.

Stefan Blankertz: Das libertäre Manifest.
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Stefan Blankertz: Das libertäre Manifest. Foto: Mark Hougaard Jensen (CC BY-SA 2.0 cropped)

20. September 2021
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Ein mehr oder weniger intelligenter, kleiner Mann beisst und kratzt einen anderen ebensolchen an. Darüber gilt es zu reflektieren, auch wenn die inhaltlichen Standpunkte und Erfahrungen verschieden sind. Insofern kann mit der Unabgeschlossenheit dieses Textes, nur ein Denkanstoss geliefert werden.

Mit dem Libertären Manifest erschien vor mittlerweile 20 Jahren ein schlechtes Buch, um die Theorie des sogenannten „Anarcho-Kapitalismus“, welche Murray Rothbard in den USA der 1970er entwickelte, in den deutschsprachigen Raum zu exportieren. Der Autor Stefan Blankertz offenbart sich darin nicht nur als Protagonist dieser skurrilen Szene, sondern ist auch Mitbegründer der neu-rechten Zeitschrift eigentümlich.frei, welche nach eigenen Angaben eine Auflage von über 8000 Stück hat.

Formuliert und legitimiert wird darin der Klassenkampf von oben, der mangels fehlender überzeugender Argumente, fortwährend in einen Hass gegen jeglichen „Egalitarismus“ verfällt, sowie rassistische und sexistische Abwertungen am laufenden Band vornimmt.

Die Verknüpfung von Marktradikalismus, Rassismus und Antifeminismus geschieht durch den ausgeprägten Anti-Egalitarismus – welcher wiederum viele Anknüpfungspunkte für das Denken der Neuen Rechten, wie es etwa Alain de Benoists formuliert, bietet. Die anti-egalitaristische Ideologie ist konsequenterweise anti-demokratisch. Und in diesem Zusammenhang sind alle überzeugten Liberalen (und seien sie bei der FDP) aufzufordern, sich von den hässlichen Auswüchsen, die an ihre Weltanschauung anknüpfen und sie radikalisieren wollen, zu distanzieren.

Diese Notwendigkeit zeigte sich bei den Konferenzen der ultra-liberalen „Students for Liberty“, die 2017 und 2018, die in den Räumen der Friedrich-Schiller-Universität Jena stattgefunden hatten. Dort wurde sich nicht gescheut, gegen den angeblichen Konformitätszwang der vermeintlichen „political correctness“ zu wettern und neurechte Netzwerker wie Rainer Zitelmann einzuladen – dies selbstverständlich alles unter dem Label der „Meinungsfreiheit“, dessen sich auch Faschisten, Antisemiten und Antifeministen in den USA ausgiebig bedienen.

Derartige „alternative“ Meinungen verbreitet beispielsweise auch das Klimaleugnungs-Institut EIKE, dass nur dafür gegründet wurde, Desinformationen zu produzieren und mächtigen Unternehmen für eine Weile des Rücken vor unweigerlich anstehenden staatlichen Strukturreformen freizuhalten. Der Keim für diese unsäglichen Auswüchse ist allerdings bereits vorher, etwa bei den „Hayek-Clubs“ zu verorten.

Zweifellos wurde der „Anarcho-Kapitalismus“ in der BRD mit dem Agieren Blankertz' verbreitet, stösst in ihr jedoch auf einen weit verbreiteten Glauben an den Staat, der fälschlicherweise als Gegenmodell zu einem idealisierten, vermeintlich „freien“ Markt kritisiert wird. Deswegen von „Sozialismus“ zu sprechen, ist allerdings ein ungeheurer Fehlgriff in die Kiste der ideologischen Kampfbegriffe. Dennoch zieht die Erzählung, dass „die Grünen alles verbieten“ wollen würden: Das schnelle Autofahren und das billige Öl, die Zigaretten, die Witze über Ausländer und Frauen, die billigen Putzfrauen, Kindermädchen und Krankenschwestern aus dem Ausland, das subventionierte schlechte Essen der Lebensmittelindustrie, das Koksen, die Zwangsprostitution, das Anheben der Mietpreise – eben alles, was Spass macht.

Die Welt der „Anarcho-Kapitalisten“ ist eine, in welcher privilegierte weisse Männer, sich unverblümt nehmen können, was ihnen gefällt: Arbeitskraft und von anderen produzierter Reichtum, Ruhm und Statussymbole, sexuelle Dienstleistungen und die Erfüllung ihrer grössenwahnsinnigen Wünsche. Auf unvermeidlichen gesellschaftlichen Transformationsbedarf reagieren sie damit, Utopien von Privat-Städten, künstlichen schwimmenden Inseln, Krypto-Währungen und sonstigen Kram für Bonzen, zu konzipieren.... Warum also einen Beitrag über ein 20 Jahre altes, theoretisch schwaches Buch schreiben, mit welchem zwar das Niveau seiner Anhänger erreicht wird, aber sonst nicht gross etwas erreicht wird?

Nun, traurig im Fall von Blankertz ist, dass er ursprünglich vom Anarchismus kam, bevor er einen kaum bedienten Marktplatz fand. Auf diesem haben aggressive Kapitalist*innen, die sich als Opfer darstellen, eine Nachfrage an primitiven und billigen Ideologien, die Blankertz mit seiner Erfindungsgabe bedienen konnte. Man kann es nicht anders sagen: Blankertz hat sich einen eigenen Absatzmarkt für seine wirren Gedankengänge erschlossen unter Leuten, die behaupten, in der Lohnhöhe spiegele sich wirklich die Leistung eines Menschen und dementsprechend auch seinen Wert, wider – Wenn da nicht die bösen Steuern wären.

Bedauerlicherweise bedient sich der Autor des Manifests des gekränkten Mannes am Denken von Anarchisten, wie Kropotkin, Landauer, Rocker und Paul Goodman, deren Grundannahmen er sämtlich missversteht und gezielt falsch interpretiert. Auch Anthropologen wie Christian Sigrist oder Pierre Clastres werden für die Erarbeitung seiner Weltanschauung mit Neoliberalen wie Milton Friedman oder Friedrich August von Hayek in einen Topf geworfen. Und das ist ärgerlich, weil es eine eindeutige ideologische Konstruktion darstellt. Sie ist billig, schlecht und in vielerlei Hinsicht falsch, weil mit ihr die Ideologie der bürgerlichen, staatlich-kapitalistischen Gesellschaft nicht begriffen und offengelegt, sondern diese gezielt verwirrt und verschleiert wird.

Blankertz ist nicht dumm, sondern ein manipulativer Falschspieler. So geht er etwa davon aus, wirtschaftliche Beziehungen seien eigentlich „frei“ und bildeten auch die Grundlage von Gesellschaftlichkeit. Staatliche Vorgaben, Steuern, Konkurrenz-bremsende Gleichheitsforderungen, die Forderung verschiedener sozialer Gruppen nach einem gerechten Anteil am von ihnen produzierten Reichtum, sowie Moralismus, würden diese „Freiheit“ der Märkte angeblich einschränken.

Das ist eigentümlich idiotisch. Worauf die damit verbundenen Vorstellungen hinaus laufen, ist Folgendes: Proletarisierte Klassen sollen ungezügelt, ohne jeden Ausgleich, ausgebeutet werden, öffentliche Güter und Dienstleistungen sollen sämtlich privatisiert werden. Der Eigentumsschutz wird durch private Milizen vorgenommen, die Rechtsprechung durch Privatanwälte geregelt, die sich gegenseitig bekriegen. So etwas wie ein freies Mittagsessen gibt es in dieser Welt, in der alles zur Ware gemacht wird, schon gar nicht.

Soziologische, historische, ideengeschichtliche, ja selbst ökonomische, falsche Grundannahmen werden in der Szene der „Anarcho-Kapitalisten“ fortlaufend reproduziert. So wird etwa behauptet, ursprünglich „freie“ (und dadurch auch implizit vermeintlich moralisch „gute“) Märkte wären erst durch Staaten korrumpiert worden, anstatt zu begreifen, dass Märkte, Geldform und Finanzwesen von Staat oktroyiert wurden, um effektivere Kriegsführung zu ermöglichen, grössere Reiche beherrschen und Metalle ausbeuten zu können.

Durch die Vermarktlichung und die Geldform wurden Menschen über Jahrhunderte vom Handel abhängig und verloren ihre Subsistenzgrundlagen. „Den“ Markt umgekehrt als „böse“ oder „schlecht“ darzustellen, wäre genau so ahistorisch und verkürzt wie die Argumentation der „Anarcho-Kapitalisten“. Anzunehmen, er wäre „neutral“ und von Staat (und auch Patriarchat) unabhängig, ist es aber ebenso.

Da dies keine Rezension ist, gehe ich nicht auf den inhaltlichen Argumentationsgang im Manifest des gekränkten Mannes ein. Diese könnte an anderer Stelle geschehen, erspare ich mir hier aber. Entweder die Lesenden werfen selbst einen Blick in das online digital verfügbare Buch – oder sie lassen es sein, weil sie daraus keinen grossen Gewinn ziehen werden. Was aber mag bei Stefan Blankertz los gewesen sein und immer noch los sein, dass er sich als denkender Mensch nicht scheut, solch offensichtlichen Schund zu produzieren?

Da mag erstens der erwähnte Aspekt seines Absatzmarktes eine Rolle gespielt haben. Jede Theoretiker:in, die sich aus Interesse marginalen Themen widmet, kennt das Problem, das es schwierig ist, diese zu verallgemeinern und ihnen langfristig nachgehen zu können. So hat sich Blankertz die Fraktion einer sozialen Klasse gesucht, welche einen Ideologiebedarf hatte und dabei über Vermögen verfügte. Keine schlechte Strategie.

Zweitens scheint der Autor von einer beissenden „Staatskritik“ getrieben zu sein, die sich so auch in seinen späteren Beiträgen wiederfindet – und also ein Grundthema ist, welches ihn beschäftigt. Der Mensch wird nicht gern bevormundet und gegängelt, das ist klar. Statt „unter sich keine Sklaven [zu] haben und über sich keine Herrn“, wie es im Einheitsfrontlied mit dem Text von Bertold Brecht heisst, beschloss Blankertz offenbar den umgekehrten Weg einzuschlagen. Statt sich weiter die linken Jammerchor anzuhören, biederte er sich als Hofnarr der ökonomisch Siegreichen mit Minderwertigkeitskomplexen an.

Dies führt zum dritten Punkt, der meiner Wahrnehmung nach für Blankertz, wie für für seine Kunden, ausschlaggebend gewesen sein muss, diesen völligen Quark von „Anarcho-Kapitalismus“ zu erfinden und zu kaufen. Hinter der reflexhaften Abwehr des angeblich alles durchdringenden „Egalitarismus“ verbirgt sich letztendlich eine unbearbeitete männliche Kränkung, welche sich gegen Schwächere und Andere richtet. Als Autor dieser Zeilen kenne ich dieses Problem leider selbst.

So lässt sich beispielsweise auch fragen, warum ich diesen Text auf diese Weise formuliere und überhaupt meine, veröffentlichen zu müssen. Da will ich „meinen“ Anarchismus vor seiner ideologischen Verfälschung bewahren und deutlich machen, dass der sogenannte „Anarcho-Kapitalismus“ nichts mit dem Anarchismus zu tun hat. Doch es geht um mehr: Nicht mal bei Benjamin Tucker liessen sich direkte Anknüpfungspunkte für die AnKaps finden. Jener ist zwar für regionale freie Märkte, ganz im Gegenteil zum Marktradikalismus aber ebenfalls für Genossenschaften und Kollektivbetriebe, eingetreten.

Mit meiner Ansicht, Blankertz ganze Schrift in theoretischer Hinsicht nicht das Papier wert ist, auf das sie gedruckt wurde, habe ich recht und könnte mir die Mühe machen, sie detailliert zu begründen - was eine Frage von verfügbaren Kapazitäten und Zeit ist.

Doch letztendlich ändert dies nichts an seiner hintergründigen Motivation daran, so ein „Manifest“ zu verfassen und das Wort „libertär“ zu reklamieren, um verwirrte Geister in den eigenen ideologisch-politischen, neoliberal-aggressiven Sumpf hinein zu ziehen. Da ich Blankertz nicht kenne und also nur indirekt - auf der Ebene der ideologischen Auseinandersetzung - blöderweise mit ihm verstrickt bin, spare ich mir die Spekulation über persönliche Beweggründe, die hier auch nichts zur Sache beitragen.

Diese braucht es auch nicht, denn eine grosse Zahl von Männern in der patriarchalen Gegenwartsgesellschaft kennt sie und hatte an verschiedenen Punkten in seinem Leben Gelegenheit, sich damit lösungsorientiert zu beschäftigen – was allerdings zweifellos zunächst nervig und anstrengend ist.

Tatsächlich sind die Möglichkeiten und Chancen zur Reflexion über die eigene Geschlechtsidentität, die damit verbundenen Rollenerwartungen und Enttäuschungserfahrungen, in verschiedenen Milieus sehr unterschiedlich ausgeprägt.

Umso mehr könnte eigentlich angenommen werden, dass ökonomisch privilegierte Gruppen dafür eine weit bessere Grundlage haben, als etwa jene Menschen, denen sie ihre Leistungsideologie, Überstunden und Entlassungsdrohungen aufdrücken. Dass dies nicht der Fall zu sein scheint, verdeutlicht einmal mehr, dass die allermeisten Menschen an Kapitalismus, Staat und Patriarchat leiden. Tragisch ist nicht dies, sondern das jene, die es besser wüssten und könnten, diese Herrschaftsverhältnisse noch affirmieren. Sie sind der ausgesprochene, miss-gestaltete, Klassenfeind.

Jonathan Eibisch

Stefan Blankertz: Das libertäre Manifest. Über den Widerspruch zwischen Staat und Wohlstand, Grevenbroich 2001. 380 Seiten. ISBN: 978-3831118694. (Herausgegeben beim Verlag des neurechten Verlegers André Lichtschlag)